wohnkollektiv
sitzt auf der straße
aus tagesspiegel - 10.06.2007 - sebastian rothe - >
die ehemaligen besetzer der rigaer straße 84 sitzen vor der tür.
vor dem bunt bemalten haus stehen sofas, sessel, stühle und tische auf
dem bürgersteig. der steinige untergrund ist mit teppichen ausgelegt, die
ehemaligen bewohner des hausprojekts lümmeln in ihrem freiluftwohnzimmer
oder schmücken den wohnzimmerbaum.
doch die vorsommerliche idylle im friedrichshainer nordkiez täuscht. „wir
wollen ein ersatzobjekt – sofort“, steht auf transparenten am bauzaun,
der eigentlich als absperrung dienen sollte. die bewohner des hausprojekts im
ehemals besetzten haus rigaer straße 84 suchen eine neue bleibe. das haus
war bei einem dachstuhlbrand in der nacht des 29. mai durch feuer und löschwasser
stark beschädigt worden. die brandursache war zunächst unklar. nach
angaben der polizei gibt es mittlerweile jedoch konkrete hinweise auf eine brandstiftung.
das landeskriminalamt ermittelt.
was immer dabei herauskommen wird, die 48 bewohner stehen erst einmal
auf der straße. abgesehen von der bergung unbeschädigter einrichtung
und persönlicher gegenstände gab es für sie im haus selbst nicht
mehr viel zu machen. wohnen werden sie dort vorerst nicht können. schätzungsweise
anderthalb jahre wird es bis zur instandsetzung dauern. das wohnen unterm sternenhimmel
soll aber nicht zur dauerlösung werden. in einer offiziellen stellungsnahme
hieß es: „es ist uns wichtig, weiterhin zusammenzuleben, gemeinschaftlich
politik zu treiben und das kulturelle leben auf unsere eigene art zu bereichern.
dazu fordern wir raum. in unserem haus.“
gerade in anbetracht des verkaufs des autonomen wohn- und kulturprojekts „köpi“
in der köpenicker straße in mitte und der schließung diverser
anderer alternativer einrichtungen wäre die erhaltung der rigaer 84 wichtig,
so heißt es dort weiter. für die übergangszeit wollen die bewohner
nun einen gleichwertigen raum. und hoffen dabei auf die bezirkspolitik. bürgermeister
franz schulz (grüne) signalisierte nach einem treffen mit dem obdachlosen
wohnkollektiv seine unterstützung: „diese leute brauchen eine unterkunft.“
verschiedene ausweichquartiere würden geprüft und gespräche geführt.
allerdings befinde man sich bei den bemühungen in einem sehr frühen
stadium. „die momentane phase ist nicht dazu geeignet, öffentlich
zu spekulieren“, sagte schulz.
wohlgesonnen ist man den bewohnern aus der rigaer straße 84 auch beim
quartiersmanagement und bei der friedrichshain-kreuzberger linkspartei/pds.
für deren vorsitzenden steffen zillich sind solche hausprojekte „eine
kulturelle bereicherung“ für den bezirk und die stadt. das müsse
man fördern. doch hält zillich die suche nach einer ersatzunterkunft
für schwierig. „ob das möglich ist, wissen wir nicht genau.“
den vorwurf, der brand sei von einer hanfplantage auf dem dachboden ausgegangen,
stritten die hausbewohner ab und leiteten inzwischen eine verleumdungsklage
ein. weder feuerwehr noch polizei konnten sich zu diesem vorwurf äußern.
dass sich trotzdem etliche zeitungen an den spekulationen beteiligten, empfanden
sie als beleidigung. „da wurde viel mist geschrieben“, so ein bewohner.
bleibt letztlich zu hoffen, dass sich der berliner sommer von seiner besten
seite zeigt. sonst könnte es im bislang einzigen friedrichshainer freiluftwohnzimmer
sehr ungemütlich werden.